Der Begriff Growth Hacking wurde in der Start-up-Szene geprägt, ja das stimmt… In Start-ups, wo quasi im Normalfall eine Ressourcenknappheit herrscht. Wenige Mitarbeiter, wenig Geld, wenig Zeit, kein Traffic etc. Oftmals fehlt, je nach Wachstumsphase, sogar auch noch das Produkt.
1. Was ist Growth Management?
2. Die digitale Disruption
Alles gute Gründe, die für das möglichst schnelle Finden eines echten Marktes sprechen, damit dem Start-up nicht auf halbem Weg schon die Luft ausgeht. Wie viele Geschichten haben wir alle schon gehört, in denen die Produktentwicklung zu Beginn teurer wurde als gedacht und im Anschluss dem Team die Expertise, die Zeit und das Geld für das richtige Marketing gefehlt hat. Leider ist dies nicht nur beim Berliner Flughafen oder der Leverkusener Autobahnbrücke der Fall.
Kreative und kostengünstige Methoden, um schnell an Reichweite zu gewinnen, sind deshalb vor allem bei Start-ups sehr beliebt. Denn nur die wenigsten Start-ups haben die Möglichkeit, kostspielige TV-Kampagnen zu schalten. Zumal der Effekt von TV-Kampagnen schwer im Vorfeld zu messen beziehungsweise einzuschätzen ist.
Jetzt denkst Du vielleicht: „Verdammt, wir sind gar kein Start-up mehr, aber wir haben trotzdem keine Kohle für eine TV-Kampagne.“ Stimmt´s? Kein Problem, so geht es uns allen. Deswegen rennen mittlerweile alle Start-ups zu der TV-Show auf VOX „Die Höhle der Löwen.“ Die meisten bekommen dort zwar kein Investment, aber immerhin eine ordentliche Reichweite im TV. Die gute Nachricht ist, dass die meisten Start-ups und Unternehmen ja niemals eine TV-Kampagne geschaltet haben oder jemals schalten werden. Denn es gibt ausreichend Growth Hacks, die sowohl Start-ups als auch bestehenden Unternehmen als Wachstumsbeschleuniger dienen können.
Erfahrungsgemäß sind das Einplanen und Ausführen von Growth Hacks in kleinen Start-up-Teams deutlich einfacher und effizienter umzusetzen als in bestehenden Unternehmen mit bestehenden Organisationsstrukturen. In der Regel gibt es noch keine großen Abhängigkeiten zur Technik, zum Marketing oder sonstigen Stakeholdern, die es in mittelständischen und großen Unternehmen nun mal immer gibt. Alle ziehen bedingungslos an einem Strang, sonst hat das Start-up keine Chance. In wachsenden Unternehmen wird diese Herausforderung allerdings zu einer immer größeren Managementaufgabe mit jedem weiteren Mitarbeiter, der hinzukommt.
Dies sind nur einige Gründe, warum so viele CEOs, CMOs, CIOs, CPOs, CTOs – oder wer das Nutzerwachstum in einem Unternehmen auch immer zu verantworten hat – Growth Hacking so interessant finden. Die bekannten Growth-Hacking-Beispiele von Dropbox, Airbnb, Hotmail, Uber und Co. erscheinen auf den ersten Blick derart trivial, dass man sich schnell zum Gedanken verleiten lässt, dass man so etwas ja mit ein bisschen Growth Hacking genauso gut hinbekommen kann.
Leider ist dem nicht so. Die Historie des Gründers von Pokemon Go John Hanke – dem letzten Beispiel für unglaubliches Hochgeschwindigkeits-Wachstum – verdeutlicht, dass man auch mal 20 Jahre an seiner Idee immer weiterarbeiten muss, bis sie dann zum richtigen Zeit am richtigen Ort abgeht wie eine Rakete. Schließlich hat Hanke einige erfolgreiche prominente Projekte hinter sich. Angefangen bei Meridian 59 mit der Entwicklung von 3D-Rollenspielen. Weiter ging es mit der Entwicklung von Google Earth sowie später Google Maps und Google Street View. 2010 gründete Hanke innerhalb des Google-Konzerns Niantic, um neuartige Computerspiele zu entwickeln. Eines davon war Ingress im Jahr 2013, bei dem die Nutzer auf einer App andere Mitspieler herausfordern sollten, real existierende Gebiete zu erobern. Ingress diente dann später als Grundlage für den Erfolg von Pokemon Go.
Zufall ist es meines Erachtens jedoch nie. Vielmehr das Geschick, die richtige Idee am richtigen Markt mit dem richtigen Angebot und vor allem dem richtigen Wachstums-Modell am Start zu haben. Ein Growth Hacking Prozess eben. Hört sich einfach an, ist es aber leider nicht. Vor allem, da sich Marktbedingungen heutzutage quasi wöchentlich vollständig ändern können – ein Fluch und ein Segen gleichzeitig.
Growth Hacking allein reicht nicht aus. Start-ups und etablierte Unternehmen müssen vielmehr konsequent daran arbeiten, eine Umgebung zu schaffen, in der das einfache Planen, Ausführen und Messen von Growth Hacks mit möglichst wenigen Umwegen und Widerständen möglich ist.
Statt von Growth Hacking kann man in diesen Fall sicherlich auch von Growth Management sprechen: die Implementierung einer Umgebung, in der Growth Hacking überhaupt erst möglich ist.
1. Was ist Growth Management?
Das Arbeiten in einem Start-up unterscheidet sich deutlich von der Arbeit in „größeren“ Unternehmen. So zum Beispiel quantitativ durch:
- Anzahl der Mitarbeiter
- Kürze der Entscheidungswege
- Märkte
- Systeme
- Prozesse
Aber auch qualitativ durch:
- Markenbekanntheit
- Position im Markt
- Alter des Marktes
- Länge der Mitarbeiterzugehörigkeit
- Mitarbeiterloyalität
All diese Punkte sind einerseits ein Fluch, andererseits aber auch einen Segen. Generell habe ich festgestellt, dass Growth Hacking in Unternehmen gegenüber Start-ups vor allem in der Geschwindigkeit der Umsetzung von Growth Hacks den größten Unterschied ausmachen kann. Warum gibt es keine Literatur zu „Change-Management für Start-ups“?
1.1. Praxisbeispiel Willkommens-Mail
Wir möchten eine Willkommens-Mail automatisiert aus dem System an jeden Neukunden schicken. Super wichtig, denn der erste Eindruck zählt, nicht nur in der Liebe. Im Start-up ist diese Mail schnell vom Gründer selbst geschrieben, von einem beliebigen Entwickler per API des Mail-Providers hinter den Anmeldeprozess gehängt und heute Abend schon live im AB-Testing beim ersten Kunden angekommen. Oder noch einfacher: Man entscheidet sich dafür, als Test die neue Willkommens-Mail manuell und persönlich an die nächsten zehn Neukunden zu versenden. Schneller kann man kein Feedback bekommen, ob die neue Mail wirklich das bringt, was man sich von ihr erhofft. Vorteil: superschnell, mega-agil, kaum Abhängigkeiten. Nachteil: wahrscheinlich eine niedrigere Qualität.
Im Unternehmen muss diese Willkommens-Mail erst mal im richtigen Team beziehungsweise bei dem richtigen Verantwortlichen eingegeben und priorisiert werden. Natürlich mit der Hoffnung, dass man auch Zeit, Lust und die Ressourcen dafür hat. Ich bin sicher, viele kennen diese Situation nur zu gut. Mindestens genauso sicher bin ich, dass viele diese Situation mindestens genauso wenig mögen, wie ich es tue. Aber es ist irgendwann geschafft, für das Quartal 4 in 2016 wurde die neue Willkommens-Mail tatsächlich eingeplant. Glück gehabt. Die Mail wird erstellt, in zwölf Sprachen übersetzt, geht noch unzählige Male ins Proofreading und wird dann letztendlich vom Marketing-Leiter persönlich freigegeben.
Vorteil: Versand an große Kundenbasis möglich, höhere Qualität durch „Super-viele-Augen-Prinzip“, deutlich mehr technische Möglichkeiten. Nachteil: viel langsamer, größerer Ressourcenaufwand. Kein schnelles Feedback der Kunden möglich. Zudem ist oftmals am Ende niemand mit dem Ergebnis wirklich zu 100% glücklich, da jeder einzelne Beteiligte einen Kompromiss eingehen musste.
Ob eine neue Willkommens-Mail wirklich ein Growth Hack ist oder nicht, darüber lässt sich sicherlich streiten. Aber niemand sollte sich heute die Chance entgehen lassen, seinen Neukunden mit der nettesten und im besten Fall persönlichsten Willkommensnachricht zu begrüßen. Im Zweifel sogar höchstpersönlich.
Ein Growth Hack, den ich selbst schon mehrfach ausprobiert habe, ist der „Sent from my iPhone“ Hack. Schreibt einfach unter die Willkommens-Mail die iPhone-Standard-Signatur „Sent from my iPhone“ und formuliert diese Auto-Mail genauso, als wenn sie von euch oder dem CEO selbst kommt. Der Neukunde fühlt sich enorm gebauchpinselt, eine persönliche Nachricht vom Chef zu bekommen. Die Klickraten dieser Mails sind meist sehr , vor allem, wenn man um Feedback bittet.
2. Die digitale Disruption
Um nicht auf der Liste der Disruptionsopfer der Digitalisierung oder der gescheiterten Start-ups zu landen, sollte man stets hinterfragen, wie gut die eigene Growth Hacking Umgebung bereits ausgebaut ist. Ein paar Beispiele:
- Ziehen alle Abteilungen an einem Strang? Ist dieser Strang Growth?
- Habt ihr das richtige Team?
- Habt ihr eine Fehler-Erlaubt-Kultur?
- Wie agil könnt ihr Produkte entwickeln?
- Lieben euch die Kunden?
- Habt ihr alle notwendigen Daten für den Customer Lifecycle?
- Steht euer Management zu 100% hinter Growth?
- Sammelt ihr aktiv Kundenfeedbacks ein?
- Build – Measure – Learn habt ihr schon verinnerlicht?
Für größere Unternehmen gilt, dass vor allem die Existenz „eigener“ vorhandener Ressourcen wie Entwickler, Analysten, Designer, Juristen, Texter, Brand-Manager, Kundenservice-Teams und Co. sowie ein bereits vorhandenes Branding in der Zielgruppe und größere Budgets zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber den Start-ups gemacht werden müssen, statt im Tagesgeschäft zu behindern.
Der Aufbau einer richtigen Umgebung, die vom Growth Hacking Spirit „Wir wollen das Produkt richtig groß machen“ angetrieben wird, gilt in der Gründerszene als das Maß der Dinge.
Beitragsbild by geralt
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